Es lief in den letzten Jahren scheinbar gut für den deutschen Auslandsrundfunk. Der Zuspruch aus der Politik für die aus dem Bundesetat finanzierten Deutschen Welle stieg. Ebenso der Etat und die Ausstattung mit Planstellen, wenn auch letztere nicht im adäquaten Verhältnis. Die Folge diese Missverhältnisses: über die Hälfte der Mitarbeitenden ist mit Fristverträgen versehen oder in arbeitnehmerähnlicher freier Mitarbeit tätig. Am Standort Berlin beträgt der Anteil prekär Beschäftigter sogar zwei Drittel. Solange der Euro rollte, schien das - oberflächlich betrachtet - kein Problem darzustellen.
Das Geld wurde breit gestreut. Neben herkömmlichem linearem Fernsehen wurden immer mehr Ausspielwege zusätzlich bedient - getreu der Aufgabenplanung der DW. Die sieht den schrittweisen Umbau zu Video on Demand und den Ausbau regionalisierter Berichterstattung vor. Z.B. in Zielregionen bzw. -sprachen wie Indonesisch, Hindi, Farsi, Haussa, Bengali, Urdu oder Chinesisch.
Der hohe Bedarf an Content bescherte vielen freien Mitarbeitenden bis jetzt Aufträge und Jobs. Die Kehrseite sind Berichte von Arbeitsüberlastung, teils unbezahlten Überstunden, starkem Konkurrenzdruck und Druck von Vorgesetzten. Immer wieder gibt es Konflikte und in der Folge negative Presse. Der Eindruck von mangelnder Wertschätzung und das Gefühl der Austauschbarkeit macht die Runde. Prekäre Arbeitsbedingungen und leichte Kündbarkeit bzw. Beendbarkeit tun ein Übriges.
Viele Kolleg*innen beklagen die Tendenz zur Massenproduktion und die Bewertung der journalistischen Qualität ausschließlich nach dem Kriterium der in Klicks gemessenen Reichweite. Auch warnten einige schon frühzeitig vor einem Abbruch der Auftragslage mit den entsprechenden Folgen für die Arbeitsplätze.
Dieser Moment scheint jetzt gekommen. Die Entscheidung des Bundesfinanzministers, die Eckwerte des Haushaltsplans 2024 zu verschieben, nahm die Geschäftsleitung zum Anlass eines harten Schnitts. Mitte März 2023 wurden Mitarbeitende, Personalräte und Führungskräfte damit konfrontiert, dass ab 2024 20 Millionen € eingespart werden müssen. Insgesamt sind etwa 10% der arbeitnehmerähnlichen Freien von Einschränkungen oder Beendigungen bedroht. Auch Fristverträgler müssen damit rechnen, dass ihre Verträge nicht verlängert werden. Etwa 200 bis 300 Beschäftigte sind betroffen.
Nebenbei teilte der Intendant Peter Limbourg auf einer Mitarbeitendenversammlung der versammelten Kollegschaft mit, dass einige der getroffenen Entscheidungen unabhängig von Einschnitten bei der Finanzierung und von rein strategischer Natur im Sinne der "Digitalisierung" seien.
Die Kürzungen betreffen zentrale Ressorts wie Sport, Kultur und Wirtschaft, das deutsche Programm und in der Folge weitere Abteilungen wie die Produktion. Vom Sport bleibt in den nächsten Jahren so gut wie nichts mehr übrig. Das ist besonders bitter für die dort beschäftigten Kolleg*innen, die in den letzten Jahren gerade dort Arbeit investiert haben, wo eigentlich der Fokus der Aufgabenplanung liegt, d.h. im Bereich on Demand und Social Media. Das lineare Fernsehprogramm in Deutsch wird komplett abgeschafft. Das ist unverständlich bei einem deutschen Auslandsender, dessen Aufgabe im Deutsche-Welle-Gesetz so definiert ist: "Die Angebote der Deutschen Welle werden in deutscher Sprache sowie auch in anderen Sprachen verbreitet." Auch in der Kultur sind die Kürzungen hart, betreffen sie doch mit 2,7 Mio einen großen Teil der mit 4,9 Mio bezifferten Kulturberichterstattung. Bisher wurden dort auch Kontakte zu Medienpartnern wie Berlinale, Goethe-Institut oder Deutscher Buchpreis gepflegt und ein Sprachrohr für diejenigen Kulturschaffenden geschaffen, deren Stimme in Ländern wie Iran bedroht ist. Mit dem Personalabbau geht Expertise in allen Ressorts verloren, die zum Kahlschlag freigegeben wurden.
Ein uninspirierter Plan, der wie am Reißbrett entworfen wirkt. Welche journalistisch überzeugende Idee steckt dahinter? Dazu haben die Mitarbeitenden bis jetzt außer oberflächlichen Informationen nichts erfahren.
Die von der Geschäftsleitung avisierte Regionalisierung soll nach eigenen Angaben die Sichtbarkeit der Deutschen Welle in einigen Zielregionen erhöhen. Dies geschieht auch durch Schaffung von Außenstudios und Rekrutierung von Journalisti*innen vor Ort. Bei Lichte betrachtet ein ungewisses Unterfangen in mehrerlei Hinsicht. Die lokal Beschäftigten fallen derzeit weder unter tariflichen noch arbeitsrechtlichen Schutz. Personalräte sind bei ihrer Beschäftigung nicht mitbestimmend. Die Kehrseite der Regionalisierung lautet Tarifflucht und zunehmende Spaltung der Belegschaft. In der Deutschen Welle schwelende Konflikte drohen in Zukunft noch zuzunehmen, die von der DW im Code of Conduct vertretenen Werte in der Praxis schwer umsetzbar und der Markenkern der DW zunehmend unklar zu werden. Ob der deutsche Auslandsender auf diese Weise der Konkurrenz aus BBC, aber auch den in den Zielregionen ansässigen Medien Paroli bieten kann, ist fraglich. Auch sind Zweifel berechtigt, ob die Deutsche Welle so noch ihrem gesetzlichen Auftrag gerecht wird .
Zurück zu den Standorten in Bonn und Berlin: Dort haben die Kürzungen auf dem Rücken freier Mitarbeitender zu einer Welle der Solidarität geführt.
Auf einer Personalversammlung Ende März berichteten Kolleg*innen von Frust, aber auch der Bereitschaft, für ihre Arbeitsplätze zu kämpfen. Gewerkschaften berichten von Zulauf. Eine Plattform für den Austausch unter Kolleg*innen wurde geschaffen. Im April und zum 70. Geburtstag der Deutschen Welle am 10. Mai sind Aktionen geplant.
Aus der Politik kommt mittlerweile Unverständnis für die Maßnahmen der DW. Erhard Grundl, Sprecher für Kultur- und Medienpolitik der Grünen bezeichnet die Beendigungen von bis zu 300 Mitarbeitenden aus "vermeintlich finanziellen Gründen" in einer Pressemitteilung vom 3.5.2023 als "nicht nachvollziehbar": 70 Jahre Deutsche Welle: Strukturelle Veränderung, ja - Kahlschlag in der Belegschaft, nein
Die Partei die Linke äußerte ebenfalls ihren Unmut über die voreiligen Maßnahmen der Deutschen Welle und bekräftigte in einem Schreiben vom 29.3.2023 die Position der Personalvertretungen. Darin forderte sie den Kultur- und Medienausschuss zu einer Aussprache am 26.4.2023 mit Personalvertretungen und dem Intendanten auf. Dies lehnten die Vertreter*innen der Ampel jedoch ab. In dem Schreiben betonten Petra Sitte und Jan Korte für die Linken, dass eine Vielzahl von offenen Fragen offen stünden. U.a.. verletzten die Maßnahmen, insbesondere die Ankündigung, das lineare deutsche Programm zu streichen, möglicherweise das Deutsche-Welle-Gesetz. Auch fragen sie nach, warum die DW-Geschäftsleitung nicht früher kundgetan habe, dass die DW von Reserven zehre. Möglicherweise bedeuteten die Maßnahmen eine nachträgliche Änderung der Aufgabenplanung, über die der Bundestag abgestimmt habe.