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Missstände aufarbeiten!

Missstände aufarbeiten!

Kein Sender innerhalb des ARD-Verbundes setzt so sehr auf freie Mitarbeit wie die DW. Freie Mitarbeit ersetzt dort in weiten Teilen Festanstellungen mit Kündigungsschutz. Für viele Mitarbeiter*innen bedeutet das, als "Fest-Freie" einerseits abhängig von der DW zu sein, andererseits permanent unter dem Damoklesschwert von Kürzung oder gar Beendigung zu stehen.

Warum stehen Rundfunkanstalten arbeitsrechtliche Spielräume zur Verfügung, die anderen Arbeitgebern (zu Recht) verwehrt sind? Der Grund liegt in der grundgesetzlich geschützten Rundfunkfreiheit. Sie gesteht den Rundfunkanstalten ein "Abwechslungsbedürfnis" bei der Beschäftigung von Mitarbeiter*innen zu, insbesondere im journalistischen, programmgestaltenden Bereich.
Gut, solange das für beide Seiten funktioniert. Aber was im Fall von Konflikten, insbesondere mit Vorgesetzten? Im Einzelfall ist es dann schwierig zu beurteilen, wo das "Abwechslungsbedürfnis" endet und wo Unliebsamkeit beginnt, mit anderen Worten: wo Kritik in Ungehorsam umgedeutet werden kann und aus Machtgefälle Machmissbrauch wird. Übrigens vor dem Hintergrund, dass guter Journalismus auch vom kritischen Impuls Einzelner lebt, nicht nur ein arbeitsrechtliches, sondern zudem ein medienpolitisches Thema.

Noch problematischer wird es für Freie, deren Arbeitsmöglichkeiten sich auf einen Sender wie die Deutsche Welle beschränken oder deren Aufenthaltsgenehmigung gar an die Beschäftigung geknüpft ist. Bei einem Auslandsender mit über 30 Sprachen nicht ungewöhnllich.

Vor diesem Hintergrund sind Fälle von Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch bei der DW zu sehen, die im Sommer 2019 in der Presse thematisiert wurden.

Kurz zuvor waren bei anderen Sendern entsprechende Fälle bekannt geworden, so beim WDR. Im Unterschied zur DW entschuldigte sich der Intendant des WDR öffentlich und beauftragte Dr. Monika Wulf-Mathies mit einer Untersuchung der Vorfälle. Eine solche Untersuchung hatte ver.di auch für die DW gefordert. Sie hat nie stattgefunden. Die im Sommer 2020 unternommene "Betrachtung" einer einzelnen Redaktion durch Rundfunkratsmitglieder ist unserer Überzeugung nach kein Ersatz für eine Aufarbeitung von unabhängiger Seite.

 

Artikel in der "Zeit" vom 31.7.2019

 

Immerhin hat die DW seit einiger Zeit an beiden Standorten Rechtsanwältinnen beauftragt, an die sich Beschäftigte im Falle von sexuellem Missbrauch wenden können. Die Kontaktdaten werden im Intranet der DW unter dem Stichwort "#MeToo: Null Toleranz" genannt. Darüber hinaus stehen u.a. Personalräte, AGG-Beauftragte, Jugend- und Auszubildendenvertretung oder Gleichstellungsbeauftragte als Ansprechpartner in Konfliktfällen zur Verfügung. 
Die Deutsche Welle ist auch Mitglied bei Themis , der (externen) Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in Film, Fernsehen und Theater.

Gesamtpersonalrat und Deutsche Welle haben 2020 zwei Dienstvereinbarungen getroffen, die verbindliche Prozesse u.a. bei Machtmissbrauch, Mobbing und sexuellem Missbrauch vorsehen.

Dennoch hat die DW in Sachen Aufarbeitung möglicherweise noch einen längeren Weg vor sich. In einem Artikel vom 11.2.2021 schreibt die Süddeutsche Zeitung (SZ) von der Beendigung kritischer Kolleg*innen. Dies war ein Ergebnis einer "externen Betrachtung" durch zwei Rundfunkräte, deren Unabhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit mittlerweile von vielen Kolleg*innen und von ver.di bezweifelt wird.

Wie die Süddeutsche Zeitung in ihrem Artikel berichtet, wirft die DW ver.di nun umgekehrt vor, Konflikte geschürt zu haben. Für diese Aussage hat sie allerdings keine Belege. Vertrauensleute von ver.di bestätigen, dass solche Vorwürfe aus der Luft gegriffen sind.

Selbstverständlich stehen wir als Gewerkschaft hinter Kolleg*innen, gerade wenn sie als prekär Beschäftigte unter Druck geraten. ver.di hatte daher in einem hausinternen Schreiben die vom Intendanten in einem Interview der SZ vom 20.11.2020 geäußerten Schuldzuweisungen gegen die beendeten Kolleg*innen deutlich kritisiert und die DW zur Rücknahme der getroffenen Maßnahmen aufgefordert.