Fünf Mythen zu Tariferhöhungen durch Prozente (statt Festbetrag)

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07.12.2024

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Tariferhöhungen können zum einen prozentual erfolgen. Dafür hat sich der Begriff "linear" eingebürgert. Diese Art der Tariferhöhung hat zur Folge, dass hohe Gehälter stärker erhöht werden als niedrige Gehälter.

Zum anderen können sie durch einen Festbetrag umgesetzt werden. Dabei wird das für die Tariferhöhung zur Verfügung stehende Geld zu gleichen Teilen auf alle Einkommenshöhen aufgeteilt. Dadurch profitieren alle Gehaltsgruppen gleichermaßen,  untere Einkommen werden nicht mehr benachteiligt. Dazwischen gibt es Kompromisse: Tariferhöhungen können teils prozentual, teils durch Festbeträge erfolgen. In diesem Fall wird der Anteil, der als Festbetrag erhöht wird, als "Sockel" bezeichnet. 

Tariferhöhungen dienen dazu, Preissteigerungen einerseits und Produktionssteigerungen andererseits monetär auszugleichen. In Zeiten begrenzter Mittel bei vom Bund finanzierten Unternehmen ist es umso wichtiger, Tariferhöhungen dort zu zu konzentrieren, wo Preissteigerungen am meisten ins Gewicht fallen: Bei unteren und mittleren Gehältern. Festbeträge sind ein geeignetes Mittel dazu.

Dennoch verweigern auch öffentliche Arbeitgeber immer wieder Erhöhungen um Festbeträge, bestehen auf prozentuale Erhöhungen und sorgen so für die Umverteilung von Steuergeldern zu Gunsten hoher Gehälter. Ein Beispiel liefert derzeit die Deutsche Welle. Ihr aktuelles Tarifangebot lautet 4,71 % ab Juni 2025. Das ist angesichts der Preissteigerungen von über 19 % seit 2020 ein zu geringes Gesamtvolumen. Darüber hinaus möchte die Deutsche Welle diese zu geringe Summe prozentual über alle Einkommensgruppen und Honorare streuen und lehnt einen Festbetrag bisher ab.

Welche Gründe werden dafür genannt?

 

Mythos 1: "Ein Festbetrag hat zur Folge, dass gut dotierte Posten nicht mehr besetzt werden können, weil sie zu gering tarifiert sind"

 

 
Tabelle Brutto bei 4,71 %

Betrachtet man die Gehaltstabelle, entpuppt sich das Argument als wenig stichhaltig: Bis hinauf zur Vergütungsgruppe II profitieren Angestellte in den unteren Stufen von einem Festbetrag. Vor allem die Eingangsstufen werden besser tarifiert als bei linearer Erhöhung. Davon profitieren Fachkräfte und mit ihnen insgesamt 1062 von 1797 Festangestellte. Erst weit über 6000 € Monatsgehalt machen sich dämpfende Effekte bemerkbar, und das über lange Strecken sanft.

Bei externen Bewerbungen werden in der Regel keine hohen Stufen bei der Einstellung vergeben. Festbeträge sorgen für attraktivere Einstiegsgehälter. In der Tabelle wird die Auswirkung eines Festbetrages mit einer linearen Erhöhung verglichen und das Tarifangebot der Deutschen Welle (Stand 6.12.2024) als Beispiel zugrundegelegt, Die für Juni 2025 angebotene Erhöhung um 4,71 %. entspricht nach Berechnungen von ver.di DW einem Festbetrag in Höhe von etwa 289  €.

 
Tabelle Brutto bei 10,5%

Zum Vergleich noch die Tabelle (Bruttogehalt) bei einer Erhöhung um unsere Forderung im Gesamtvolumen  von 10,5 %. In der Sache ändert sich nichts am oben Gesagten.

 

Gründe, warum Stellen nicht mit Fachkräften besetzt werden können, liegen nur zum Teil an der Höhe von Gehältern. Und wenn, so müssten sie in einem Maße angehoben werden, das die Größenordnung des Unterschieds zwischen Festbetrag und linearer Erhöhung bei weitem übersteigt. In der Tat ist es etwas anderes, was potenzielle Bewerber abschreckt, nämlich die Aussicht auf eine Anstellung, die lediglich befristet ist.

Damit kommen wir zum nächsten Mythos.



Mythos 2: "Ein Festbetrag hat zur Folge, dass Mitarbeiter mit hohen Gehältern die Deutsche Welle verlassen"

 

Die Gründe dafür hängen allerdings nicht mit der Frage Festbetrag oder prozentuale Erhöhung zusammen. Vielmehr werden Unsicherheit durch Befristung oder die Aussicht auf passendere Arbeitsinhalte bei anderen Arbeitgebern als Ursachen genannt. Unbefristete Festanstellung, gute Arbeitsorganisation, höhere Eingruppierung und außertarifliche Zulagen sind wesentlich effektivere Instrumente als lineare Erhöhungen, um als attraktiver Arbeitgeber zu gelten.

Insbesondere der hohe Anteil an prekärer Arbeit bei der Deutschen Welle ist Grund zur Unzufriedenheit. Arbeitnehmerähnliche Freie und befristet Festangestellte wünschen sich bessere Perspektiven. Für Freie müssen in Zukunft Regeln zum Bestandschutz vereinbart werden, die diesen Namen verdienen. Ziel von ver.di ist es, mit der DW einen solchen starken Bestandsschutz zu vereinbaren.

 
Tabelle Netto bei 4,71 %

  

Die Unterschiede zwischen Festbetrag und linearer Erhöhung sind bei mittleren und höheren Gehältern über weite Strecken übrigens gering. Das wird vor allem deutlich, wenn man die Nettogehälter zu Rate zieht.

 

 

 
Tabelle Netto bei 10,5%

Auch hier im Vergleich die Werte, wenn man unsere Forderung nach einem Gesamtvolumen von 10,5% zugrunde legt.

 

 

 

 

Mythos 3: "Die Deutsche Welle bezahlt im Vergleich zu anderen Unternehmen besser in unteren Gehaltsgruppen"

 

Grundlage für diesen Mythos ist eine Gutachten der Kienbaum Consultants International GmbH von 2019, das zum Ergebnis kommt, dass in einigen Rundfunkanstalten das Vergütungsniveau gegenüber dem öffentlichen Sektor überhöht ausfalle, im Vergleich zur kommerziellen Medienlandschaft leicht überdurchschnittlich und bezogen auf die allgemeine Medienwirtschaft als vergleichbar einschätzbar sei.

 
Vergleich Bund und DW


Das Gutachten ist umstritten. Aber unabhängig davon hat sich seither einiges getan. Verglichen mit den Tarifabschlüssen in Bund konnte die Deutsche Welle im Jahr 2023 tatsächlich aufholen. Die von ver.di durchgesetzte Erhöhung um einen Festbetrag machte sich 2023 vor allem bei unteren Gehältern (hellblaue Linie in der nebenstehenden Grafik) bemerkbar.

 

2024 hat der Tarifabschluss beim Bund dann mit einer Mischung aus prozentualer Erhöhung (5,5 %), einem Sockel (200 €) und Mindesterhöhung (340 €, Pressemitteilung Bund) dafür gesorgt, dass die Auswirkungen des Preisschocks beim Grundbedarf (Energie, Lebensmittel, Mieten) inbesondere bei niedrigen und mittleren Gehältern ausgeglichen werden konnten.

Die bisherigen Angebote der Rundfunkanstalten, auch der Deutschen Welle, liegen weit darunter. Sollte es beispielsweise bei den 4,71 % linearer Erhöhung bei der Deutschen Welle bleiben, würden insbesondere untere Lohngruppen von der allgemeinen Lohnentwicklung und der des Bundes abgehängt werden. Hohe Lohngruppen wären zwar auch davon betroffen, der Verlust wäre aber in Relation schwächer. Dies ist in der Grafik erkennbar (für 2024 wurde die prozentuale Erhöhung um 4,71 % eingetragen, die erst 2025 zur Auszahlung käme).

Das Kienbaum-Gutachten kann 2024 nicht mehr als Argument dienen.

 

Mythos 4: "Hohe Gehaltsgruppen sind im Verhältnis stärker von Preissteigerungen betroffen"

 

Dahinter steckt der Gedanke, dass Inflation Geld "entwerte" und die Relation zwichen den Gehältern gewahrt werden müsse. Bezieher hoher Gehälter hätten durch lange Ausbildungszeiten ein Anrecht auf Besitzstandwahrung.

Abgesehen davon, dass ein Großteil der Beschäftigten der Deutschen Welle - unabhängig von der Gehaltsgruppe - lange Ausbildungszeiten hinter sich hat, steckt hinter dieser Position eine ethisch fragwürdige Grundannahme. Denn sie spricht denjenigen, die weniger verdienen, ein geringeres Recht zu, als Alleinverdiener eine Familie zu ernähren, in Teilzeit zu gehen, usw. 

In der realen Welt betreffen Preissteigerungen in den Sektoren Miete, Energie und Lebensmittel alle gleichermaßen.

 
gestiegene relative Belastung der Nettoeinkommen

Bei niedrigen Einkommen führt das dazu, dass der Grundbedarf einen Großteil des Nettoeinkommens verbraucht, während Bezieher hoher Nettoeinkommen noch Reserven zum Ausgleich nutzen können. Der Unterschied zwischen 2020 und heute ist eklatant, was den relativen Anteil vom Nettoeinkommen betrifft, den der Grundbedarf frisst. Auch für den Fall, dass die Tariferhöhung 4,71 % betrüge (rote Linie).

Ein Festbetrag (grüne Linie) bedeutet immerhin einen leichten Ausgleich für diejenigen, für die die Belastung am größten ist. Wenn der Begriff "linear" gerechtfertigt wäre, dann dort!

 

Mythos 5: "Wir bieten doch Einmalzahlungen an, um für sozialen Ausgleich zu sorgen"

 

Das Angebot der Deutschen Welle vom 6.12.2024 beinhaltet eine Tariferhöhung bei Löhnen und Honoraren am 1.6.2025 in Höhe von 4,71 % und davor eine Einmalzahlung zwischen 1750 und 2000 € (bezogen auf Vollzeit). Zur Einordnung: Diese Einmalzahlung soll den Verlust für Beschäftigte ausgleichen, der durch Leermonate entsteht. Leermonate sind die Monate zwischen dem Ablauf des letzten Tarifvertrags (am 30.6.2024) und der angebotenen Tariferhöhung. Sprich: Genauso gut hätte die DW einfach die Gehälter schon am 1.7.2024 anheben können. Durch die Verzögerung spart sie nebenbei an Betriebsrenten, die durch die entstandenen Leermonate niedriger ausfallen.

Ein Coup für die Beschäftigten? Eher nicht. Einmalzalung und Festbetrag sind nicht miteinander vergleichbar. Die eine ist temporär, der andere wirkt dauerhaft. Der Effekt eines sozialen Ausgleichs durch eine Einmalzahlung verpufft, je länger jemand noch bei der Deutschen Welle arbeitet. Von "182 € mehr" 11 Monate lang (bzw. in etwa vergleichbaren 2000 € auf einen Schlag) bleiben nach 20 oder 30 Jahren Betriebszugehörigkeit nicht mehr viel übrig. Wer bis dahin nicht die Chance hat, in die höchsten Vergütungsgruppen aufzusteigen oder entsprechende Honorare zu beziehen, hat das Nachsehen. Einmalzahlungen sind ein Tropfen auf den heißen Stein, vergleichen mit dauerhaften tariflichen Erhöhungen. Das betrifft Honorare ebenso wie Gehälter.  

 

Festbeträge kommen Festangestellten wie Freien entgegen.

 

Präsentation Tarif, Preis und Festbetrag, 30 Minuten ver.di am 21.August 2024: